Donnerstag, 18. April 2013
Krötenwanderung
Man stelle sich ein tief eingeschnittenes Tal am südlichen Taunusabfall im sanften Regen einer milden Aprilnacht vor. Kurz bevor sich das Tal zum Rhein hin öffnet, befindet sich ein ehemaliger Forellenteich, der mittlerweile naturbelassen und zugewachsen im Talgrund liegt. Ein Bach durchfließt ihn und versorgt ihn mit Frischwasser. Bachaufwärts befindet sich eine mittelalterliche Klosteranlage, deren historische Gebäude schon mehrfach im Fernsehen zu sehen waren.
In diesem Kloster finden regelmäßig Veranstaltungen statt und damit die Besucher sich nicht die Füße wundlaufen, gibt es rechts und links des Baches (und der Forellenteiches) Parkplätze.

In dieser warmen, regnerischen Aprilnach beschließen viele hunderte Kröten, sich auf den Weg zu ihrem Geburtsgewässer zu machen - wohlwissend, dass sie dort Geschwister, Männchen und Weibchen aus anderen Generationen treffen werden – sozusagen eine Riesen-Swinger-Party mit ungewissem Ausgang; das funktioniert seit Millionen von Jahren auch ohne Facebook.

Es ist 22:30 Uhr….das Konzert im Kloster neigt sich dem Ende zu. Die ersten Besucher, die ungerne später im Stau stehen wollen, lassen die Zugabe Zugabe sein und bewegen sich zu ihren Autos. So treffen zwei Ströme von unterschiedlichen Individuentypen zusammen. Zunächst alles ganz harmlos, denn die langsam ziehenden Kröten fallen nicht auf, werden unter Umständen mit Hinterlassenschaften von Hunden verwechselt. Da tritt man ja nicht drauf. Anderen Amphiben geht es nicht so commod, sie werden von noch im Konzertmodus wandelnden Menschen getreten oder zermatscht….Pech gehabt, denken wir mal gnädigerweise……

Als dann die Rush-hour einsetzt und jeder möglichst schnell seine Blechkarosse- nicht selten über zwei Tonnen schwer und dramatisch unterbesetzt – über öffentliche Straßen nach Hause kutschieren will, denkt keiner mehr an wandernde, liebestolle Heimkehrer und als sich die stille, regendurchtränkte Nacht dem Zenit der Geisterstunde nähert, ist die Straße mit schmierigen, blutigen Klumpen übersät.

Einem eifrigen ehemaligen Mitglied eines Stadtparlamentes einer nahegelegenen Gemeinde fällt dies unangenehm auf. Das Mitglied wendet sich an den örtlichen Naturschutz und in einer längeren, engagiert geführten Diskussion wird beschlossen, sich dem Massenmord mit begrenzten Mitteln entgegen zu stellen. Am folgenden Tag wird von Gutmenschen ein Krötenzaun aufgebaut. Die Arbeit daran wird durch nette Gespräche und einen kleinen Umtrunk erträglicher, gegen Mittag befindet sich das Vorhaben in der Schlussphase, es ist auch mittlerweile warm genug, fast schon ein kleiner Sonnenbrand im Gesicht entstanden.
Viele Besucher aus - den Kennzeichen der Autos nach zu urteilen – vielen Gebieten Deutschlands, deren Absicht es war, das Kloster zu besichtigen, bekommen unerwarteter Weise einen kleinen Vortrag über das Paarungs- und Wanderverhalten von Lurchen mit noch lebenden Exemplaren. Deren Reaktion über die sich in den Händen der Retter einkuschelnden Kröten reicht von „Igitt, wie kann man nur so etwas anfassen“ bis „neee wie niedlich, darf ich auch mal“. Besonders die nett zurechtgemachten Kinder fangen an, an den neu erstellten Zäunen nach weiteren Kröten zu suchen, was so manchem Elternpaar ein Stirnrunzeln entlockt, da die hellen Chucks sich langsam mit Lehm bedecken und krötenerfahrene Hände sich an sauberen Jeans abwischen.

Zwischendurch walzen 210er und größere Reifen gelegentlich mal ein Krötenmännchen platt, wenn dieses die Unverschämtheit besaß, seinen Weg am helllichten Tag fortzusetzen. Macht doch die Helligkeit alleine schon die Reise risikoreich….das helle Sonnenlicht trocknet die Haut aus und Beutegreifer können auch besser sehen als nachts…..aber wenn die Party im Teich schon im Gange ist, möchte „Mann“ doch ungern zu spät kommen…..

Der Leser fragt sich wahrscheinlich jetzt nach dem tiefen Hintergrund dieser krötenreichen Geschichte. Nun hier die Aufklärung in mehreren Ebenen:

Zunächst wurde beim Bau des Parkplatzes vor vielleicht 10 Jahren als Ausgleichmaßnahme von der Unteren Naturschutzbehörde festgelegt, dass für die wandernden Kröten ein Amphibienschutzzaun mit Durchlassröhren in der Straße gebaut werden soll. Der mit dieser Aufgabe betraute Architekt (unterstellen wir ihm mal Fachwissen) dimensionierte die Strecke damals zu kurz. Wohl eher aus Kostengründen, als aus fachlicher Überzeugung. So funktioniert der vorhandene Holzzaun mit Durchlässen unter der Straße reibungslos, allerdings sind Kröten nicht so wie Menschen abhängig von Leiteinrichtungen und laufen einfach so, wie es ihnen in den Kram passt – in diesem Fall ist der Zaun in der Lage ein gutes Drittel der Kröten zu kanalisieren. Die anderen kommen aus anderen Richtungen oder haben einfach keine Lust, den vorgeschriebenen Weg zu krabbeln. Die einzige Sanktion eines derartigen Fehlverhaltens ist das Überfahren werden, was aber im Evolutionsplan von Kröten nicht vorgesehen ist.

Dann die menschliche Ignoranz vor Lebewesen anderer Art. Seien es Artgenossen aus anderen Kulturkreisen, seien es Artgenossen anderer Rasse, seien es Lebewesen, die zum Verzehr bestimmt sind, seien es … Kröten oder andere „minderwertige“ Kreaturen….der Mensch akzeptiert nur das was er kennt (oder gebrauchen kann). Warum einer Kröte ausweichen? Warum nicht einfach den Parkplatz in den einschlägigen Nächten (und davon gibt es nicht allzuviele im Jahr) sperren? Wir sitzen im dicken, warmen Auto und alles, was unterhalb der Stoßstange ist, zählt nicht. Würden diese Menschen auch über ein Nagelbrett fahren, wenn es krötenähnlich auf der Straße liegt?

Zum Schluss die Bemerkung meinerseits, dass ich immer wieder erlebe, wie weit sich Menschen, nein Eltern von der Natur entfernt haben, dass sie staunend einer Kröte in der Handfläche des Retters in die – goldenen, schönen – Augen schauen und fragen: „ist die giftig?“. Kinder sind da unbeschwerter, der Spieltrieb lässt sie neugierig sein, so lange nicht Mama oder Papa den Rückpfiff anwenden. Wer weiß denn noch, was eine Kröte (oder Molch oder Frosch oder Ringelnatter (auch eine solche haben wir tot aufgefunden)) so für ein Leben führt? Der Unterschied ist sowieso nicht spürbar…Frosch oder Kröte sind leicht auseinander zu halten. Der Klosterbesucher im Samstagsgewand und Sonnenbrille auf der Stirn dagegen kennt wahrscheinlich den Wendekreis seines SUVs besser als die Absicht einer einfachen Kröte auf Liebeswegen….

... comment

...bereits 1050 x gelesen