Donnerstag, 7. April 2011
Eine Wanderung
Heute ist ein wunderbarer Tag, den ich genutzt habe, mich ein bisschen in der Gegend umzusehen. Wo ich schon immer mal hin wollte, was ich schon immer mal sehen wollte, wo ich schon immer mal mein Auto stehen lassen wollte....heute ist es wieder passiert:
in Rheinhessen, Gau-Odernheim, Petersberg.

Angeblich sollen dort am Petersberg eine große Menge von Wildtulpen wachsen. Angeblich die größte zusammenhängende Fläche nördlich der Alpen. Wildtulpen (Tulipa sylvestris) haben nichts mit den allseits üblichen häßlichen Gartentulpen zu tun. Sie sind zierlicher und goldgelb, blühen Ende April und bei mir im Garten stehen sie auch seit 5 Jahren und vermehren sich ziemlich gut. Allerdings blühen sie jetzt noch nicht. Bei dem jetzt schon ziemlich warmen Wetter dachte ich also, vielleicht blühen sie jetzt dort schon und ich kann sie mir mal am Originalstandort ansehen, sofern dieser vielleicht wärmebegünstigter ist, als der in meinem Garten.

Von Gau-Odernheim aus sieht der Petersberg aus wie zwei weibliche Brüste, der Wirtschaftsweg schlängelt sich dazwischen durch und relativ schnell wird klar, dass diese Brüste langgezogen sind und eine Menge Nebenhügel haben, die man eben von Gau-Odernheim aus nicht sieht. Die Sonne scheint, es ist - obwohl Sommerzeit, obwohl eigentlich erst 10 Uhr - schon t-shirtwarm. Ich krempel die Hosenbeine hoch, damit das Heuschnupfen-Ekzem ein bisschen UV-Licht bekommt (und damit die Beine nicht so käsig aussehen) und stapfe bergan. Vereinzelt heften Winzer die Triebe der Reben an die Drähte. Eine Krähenkolonie nistet in den Pappeln an den Selz- Teichen und macht einen Höllenlärm, der Boden ist übersät von Sandbienen, die einen Eiablageplatz suchen. Kurz, es ist Frühling.
Mein Weg geht erst mal um den südlichen Hügel herum. Hier ist eine Menge Weinberg, die Flurbereinigung hat volle Arbeit geleistet: Die Rebzeilen werden durch Gräser bestimmt, durch blühenden Löwenzahn. Aber keine einzige Traubenhyazinthe, kein Milchstern, kein Gelbstern, keine Wildtulpe zu sehen, wie sie doch typisch sind für alte Weinberge, kleinparzellig gepflegt von verantwortungsbewußten Winzern. Hier wird das Wirtschaftsgut Wein auf Vollernterbedarf zugeschnitten. Leider!

Im hinteren Eck, kurz vor dem Aufstieg auf den Gipfel entdecke ich doch noch ein bisschen Natur. Ein Lößhohlweg zieht sich die Hänge hinauf, an einigen Stellen ist der original Untergrund noch zu sehen: Cyrenenmergel, ein weicher Kalkstein, dessen Struktur auch ein Dachs benutzt hat, um sich einen Bau zu graben. Der Weg ist von blühenden Schlehen umgeben, die atemberaubend duften. Gerüche von Mallorca im Sommer mischen sich mit dem typischen Schwefel- und Kupfergerüchen von bewirtschafteten Weinbergen. Ein Winzer, etwas abseits meiner Route spritzt seinen Weingarten mit einem Austriebsspritzmittel, um Knospenschädlinge fern zu halten.

Nun erreiche ich den Gipfel. Bisher keine seltenen Pflanzen entdeckt. Nur das übliche Weinbergsgedöns, das den Biotop Intensivweinbau widerspiegelt.
Ganz oben entdecke ich Mauern. Hier soll im 12. Jahrhundert ein Kloster gestanden haben. Das macht Sinn, denn der reinhessische Jakobsweg geht hier vorbei. Auf dessen Wegmarkierung bin ich schon oft gestoßen heute. Rund um das Gemäuer liegt mächtig Müll herum. Auch einige Feuerstellen sind nicht zu übersehen. Zwei Einweg-Pflandflaschen liegen auch da. Die nehme ich mit - immerhin wieder 50 Cent für die Schokoladenkasse. In der Mitte des Plateaus steht ein Stein. Auf dem ist angegeben, dass der Petersberg mit 246 , Metern der höchste Berg Rheinhessens ist. Und in der Tat ist der Ausblick grandios. 360°-Blick über das rheinhessische Hügelland. Ich kann Biblis sehen :-( , den Odenwald, Frankfurt, den Taunus, den Hunsrück, den Donnersberg und natürlich alle möglichen Dörfer, bekannte und unbekannte, die in der Nähe liegen. Wunderbar. Ich ziehe mein T-Shirt aus und lass mich von diesem starken Südwestwind bewehen. Trotz Ozonloch bemühe ich mich heute mal um einen ersten Kontakt der Haut mit der Sonne. Jeden Tag 10 Minuten, dann immer mehr und ich werde zu Beginn meines Urlaubs kaum noch Angst vor Sonnenbrand haben müssen.

Auch der schönste Ausblick ist irgendwann genug. Der Wind schmerzt in den Augen, vielleicht ist es auch das grelle Sonnenlicht oder meine Augen sind durch den Pollenflug einfach zu empfindlich. Ich gehe bergab, treffe eine Winzerin, die ich frage, wo denn diese Wildtulpen stehen. Sie geht mit mir auf eine Anhöhe, zeigt mit dem Finger weit ins Land, nach Süden und sagt: "dort unten, wo das Schild steht, gibt es einige Weinberge, auf denen sie steht. Leider sind die Weinberge vor einigen Jahren bereinigt worden. Jetzt sind es nur noch wenige..."

Traurig. Wahr. Menschlich. Da sie sowieso noch nicht blühen werden, merke ich mir die Stelle für Ende April/Anfang Mai vor. Ich will sowieso wie jedes Jahr am 1. Mai nach Wöllstein fahren. Dort gibt es das Holunderknabenkraut. Es ist um den 1.Mai immer in Vollblüte. Da kann ich auch einen Abstecher nach Gau-Odernheim machen. Das ist nicht weit.

Der Abstieg geht durch einen schlehenbekränzten, grünteppichbedeckten Hohlweg ziemlich gerade bergab ins Dorf, wo mein Auto parkt. Dieser Weg gehört auch zum Jakobsweg...vielleicht sollte ich diesen rheinhessischen Jakobsweg mal abschnittsweise gehen....einen kleinen Teil habe ich ja schon....

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